Woher rührt die Unsicherheit der Erwachsenen? Informationen
über die Art und Weise, wie Kinder das Phänomen Tod in ihr Bild von sich und der
Welt integrieren, werden leider noch nicht in allen pädagogischen Einrichtungen
vermittelt. Ein weiterer Mangel kommt hinzu: Jeder Erwachsene trägt seine
eigenen Kindheitserfahrungen zu diesem Thema mit sich herum. Vielen fehlte ein
Klima, das Äußerungen und Fragen über den Tod zuließ, denn das Denken der
Erwachsenen war früher beherrscht von der Doktrin: »Kinder verstehen das nicht.
Kindern macht der Tod nichts aus. Das sieht man ja, wenn sie lachen. Die stecken
den Tod weg!«
Weil Kindern der Tod angeblich nichts ausmacht, wurde er auch als Angst und
Schrecken auslösendes Erziehungsmittel eingesetzt. Viele Geschichten und
Gedichte handelten von einem Kind, das ein Verbot missachtet hat und dafür mit
dem Leben bezahlt. Ein solches Gedicht heißt zum Beispiel »Fritz der Näscher«.
Der Junge schleckt gerne Süßes, aber am Ende schluckt er Arsen, das aussieht wie
Zucker und offensichtlich in jeder bürgerlichen Küche damals verwendet wurde.
Aus ist es mit dem unartigen Kind. Die Moral von dieser Geschichte hieß: Der Tod
ist eine natürliche Strafe kindlichen Ungehorsams.
Die Tabuisierung des Todes in der Pädagogik früherer Zeiten hat bis heute
Wirkung. Eine ihrer Ursachen liegt in der Sprachlosigkeit der Erwachsenen, die
ihr Unvermögen gerne pädagogisch verkleiden und fordern, das Kind sei zu
schützen vor der Einsicht in die Risiken des Lebens. Jede Erzieherin kommt also
nicht darum herum, den eigenen Standpunkt zu klären und die Ambivalenz
menschlichen Lebens zu akzeptieren. Die Schutzfunktion des Erwachsenen dem Kind
gegenüber darf nicht so weit gehen, dass es daran gehindert wird, sein Weltbild
analog seiner Entwicklung und Wahrnehmung zu strukturieren. Das neugierige, auf
die Welt offen zugehende Kind kommt in Kontakt mit der problematischen und
perspektivisch gebrochenen Welt. Dabei ist es sehr angewiesen auf die Begleitung
durch Erzieher, die sich freigemacht haben vom pädagogischen Wunschdenken einer
heilen Welt. Diese Ideologie möchte den Tod gerne schachmatt setzen, wird aber
durch jedes Kind, das bereits Verlust-Erfahrungen durch den Tod erlitten hat,
widerlegt.
Solange pädagogische Einrichtungen dies nicht wahrhaben wollen, bleibt ein Kind,
dem die Auseinandersetzung mit dem Tod vom Schicksal zugemutet wird, ein
vergessenes Kind. Ein wesentlicher Bestandteil seiner Welt-Erfahrung bleibt
ungesehen. Für das betroffene Kind ist dies eine starke Beeinträchtigung seiner
Selbstentfaltung. Den Kindern seiner Gruppe geht dadurch aber auch die Chance
verloren, am Leben zu lernen, Erfahrungen mit der Gegensätzlichkeit der Welt zu
thematisieren.
Erziehen im Angesicht des Todes
Wer als Erzieher der Bandbreite menschlicher Existenz im
Austausch mit den Kindern Raum gibt, Zugang zu seinem eigenen seelischen Erleben
hat, die Ohnmacht aushält, die jede Annäherung an den Tod mit sich bringt,
ermöglicht mit dieser inneren Haltung das Hineintasten der Kinder in diesen
Bereich. Dann sprudeln die Fragen aus ihnen heraus: »Wie ist das, wenn mein Opa
stirbt?« »Was macht meine Katze so allein in der dunklen Erde?« »Was essen die
Toten? Essen die auch Nutella?« »Kommt meine Oma an Weihnachten vom Himmel
runter?«
Durch solche Kinderfragen verändert der Tod sein Angesicht. Mit ihrem konkreten,
magisch-mythischen Denken bringen sie bunte Farbe in den von den Erwachsenen als
dunkel bezeichneten Bereich. Manche ihrer Äußerungen reizen zum Lachen. Lachen
im Angesicht des Todes? Der Erwachsene hält sich die Hand vor den Mund, traut
sich nicht zu lachen, denn Ernst, Würde und stille Trauer scheinen ihm
angemessener. Die Sprache der Kinder bringt jedoch andere Nuancen. Warum sich
nicht anstecken lassen? Lachen im Umgang mit dem Tod ist eine wichtige Form der
Verarbeitung. Distanz entsteht, die Schwere nimmt ab. Und wenn einige Kinder in
der Gruppe sich darüber ausgetauscht haben, ob Tote nun Nutella essen oder
nicht, fassen sie ihre Lösung vielleicht in den Satz »Tote essen gern Nutella,
aber nicht so viel!« Das ist die Antwort, die für heute stimmt. Morgen kann
ihnen eine ganz andere einfallen.
Schon lernt der Erwachsene eine weitere Lektion im Hinblick auf Kind und Tod.
Alles ist im Fluss, und so schlimm wie befürchtet ist das Kapitel gar nicht,
denn die Kinder finden ihre Antworten, sobald sie spüren, da ist ein
verlässliches Gegenüber, das mich darin bestärkt, zu suchen und zu finden. Ich
darf dem alles sagen. Aber am besten ist es doch, wenn ich mit meinen Freunden
darüber spreche, da fühle ich mich gut und wichtig.
Kinder lernen am liebsten von anderen Kindern. Da müssen sie nicht immer
hochschauen, sondern dürfen auf ihrer Ebene bleiben.
Erziehung geschieht durch das, was in der Welt geschieht
Theorien, Bildungsempfehlungen, pädagogische Ansätze
versuchen die Realität des Kindes und pädagogisches Handeln unter einen Hut zu
bringen. Daneben gibt es das mächtigere Curriculum des Lebens, das Kinder
nachhaltig prägt. Wenn im Lehrplan seines Lebens einem Kind die Begegnung mit
dem Tod zugemutet wird, weil ein vertrauter Mensch stirbt, kann das trauernde
Kind zum Lehrer der Erwachsenen und der Kinder werden, die mit ihm zusammen in
der Kita sind. Der Tod als Regisseur des Lebens setzt einen tiefen
existenziellen Impuls für die ganze Gruppe.
Wenn Meike endlich darüber sprechen kann, dass die Mama, die sie jeden Tag in
die Kita bringt, eigentlich nicht ihre richtige Mama ist, weil die richtige bei
einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist, dann hat das für das Mädchen eine
befreiende Wirkung. Endlich wissen alle, was ihr widerfahren ist. Endlich wird
das Kind mit seiner großen Wunde wahrgenommen. Endlich ist die Mauer der
Isolation durchbrochen, hinter der das Ereignis versteckt war. Kinder, die ein
Elternteil an den Tod verloren haben, leiden unter anderem darunter, dass sie
sich durch diese Verlust-Erfahrung von den anderen Kindern unterscheiden. Da das
So-sein-Wollen wie die anderen nicht mehr möglich ist, entstehen schnell Gefühle
der Scham, die im Trauerprozess der Kinder oft übersehen werden.
Dass Kinder nach Todeserfahrungen häufig überangepasst und brav wirken, sich
nach der Devise »Nur nicht auffallen!« verhalten, geht auf das Gefühl der Scham
zurück. Für Außenstehende klingt das fremd. Erwartet werden eher Tränen, ein
weinendes Kind, das der Erwachsene trösten kann. Doch warum schämt sich ein
Kind, dessen Mutter gestorben ist?
Der Tod bedroht das kindliche Denk- und Fühlsystem
Wenn der Tod unberechenbar, willkürlich ins Leben eines
Kindes eingreift, wird es mit Erfahrungen konfrontiert, die unter anderem
Gefühle von Angst, Scham und Schuld freisetzen. Es verliert nicht nur einen
Menschen und damit an Selbstwert im Hinblick auf die anderen Kinder, sondern
sieht sich auch als Versager, weil es den Unfall ja nicht hat verhindern können.
Bisher hat es mit Hilfe seines altersgemäß entwickelten Allmachtsdenkens immer
Lösungen für die Probleme seiner Welt gefunden. Nun aber gerät es an Grenzen
seines natürlichen Denkens und Fühlens. Das macht die Verarbeitung des Verlustes
durch den Tod so schwer:
Das Kind verknüpft Ereignisse miteinander, die objektiv gesehen nichts
miteinander zu tun haben. Ein Vater ist an Krebs gestorben. Als er noch gesund
war, gab es irgendwann einen alltäglichen Zwischenfall in der Küche. Das Kind
hatte mit Wasser gespielt, der Boden wurde nass, und der Papa hatte nicht
aufgepasst, war ausgerutscht. Als der Vater später krank wurde und starb,
verknüpfte das Kind seine eigene Ungeschicklichkeit mit der Krebserkrankung des
Vaters. Sein Denken stellt zwei zeitlich weit auseinander liegende Ereignisse in
Beziehung zueinander und verknüpft sie kausal. »Ich bin schuld, dass mein Papa
an Krebs gestorben ist, weil ich in der Küche Wasser auf den Boden gekleckert
habe und der Papa ausgerutscht ist.«
Auf der Suche nach Erklärungen kommt das Kind nicht weit, denn es bezieht gemäß
seiner kindlichen Egozentrik alles Geschehen auf sich.
Dem Erwachsenen läuft es dabei heiß und kalt über den Rücken, und schon gibt er
kurze und einsichtige Erklärungen, die das Kind jedoch nicht übernehmen kann.
Wieso nicht?
Gegen das magische Denken ist einfach kein logisches Kraut gewachsen. Auch
Kinder im Grundschulalter können bei Todeserfahrungen auf ihr magisches Denken
zurückfallen und sind dann erneut von der Macht ihrer Worte und Taten überzeugt.
Ein siebenjähriger Junge betet abends, Gott möge seine Tante von den schlimmen
Schmerzen erlösen. Als die Tante am nächsten Tag wirklich stirbt, sagt der
Junge: »Ich glaub', ich bin schuld!« Eine Aussage, die für Erwachsene schwer zu
tolerieren ist. Doch alle Versuche, diesen vermeintlichen Fehler im Denken und
Fühlen zu korrigieren, schlagen fehl. Das Kind geht nicht auf die Gedankengänge
der Erwachsenen ein, sondern erzählt plötzlich etwas ganz anderes.
Was mach ich nur mit diesem blockierten Kind? »Setz dich doch einfach zu mir an
den Tisch, und schau mir beim Malen zu«, sagt das Kind. »Malen und Spielen, das
ist viel besser als reden müssen. Und wenn du alle meine Bilder an die Wand
hängst, dann siehst du ja, wie ich verstehen lerne, dass der Papa nicht mehr
kommt.«
Kinder trauern auf Raten
Der Tod konfrontiert Kinder mit Trauer-Erfahrungen, und
Trauer ist ein sehr dichtes Gefühl, in dem Wut, Ohnmacht, Schuld und Scham
ebenso stecken wie Gefühle der Verlassenheit und Isolation. Was geschieht in
einem Kind, dem der Tod ein liebes Haustier oder einen vertrauten Menschen
nimmt? In seiner Trauer unterscheidet es nicht zwischen Mensch und Tier. Aber
das Geschehen widerspricht seinem Bedürfnis nach Dauer. Von seiner seelischen
Entwicklung her gesehen ist es angewiesen auf Verlässlichkeit und Wiederkehr des
Vertrauten. »Immer wieder, immer wieder« heißt die Parole, »bitte noch einmal,
noch einmal!«
Der Tod jedoch durchbricht dieses Gesetz seiner bisherigen Sicherheit. Er bringt
nicht wieder, was er genommen hat. Unvereinbar steht das kindliche
Allmachtsstreben dem neuen Gefühl der Ohnmacht gegenüber. Dieses ist vom inneren
Programm zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht vorgesehen. Den Tod kümmert das
nicht!
Ein weinendes Kind sitzt wie ein Häufchen Elend auf dem Boden, und noch ehe der
Erwachsene Zeit hat, sich ihm zuzuwenden, springt es schon wieder in die Höhe
und geht spielen. Das soll Trauer sein? Ja, so trauern Kinder. Ihre Trauer wirkt
sprunghaft, bricht unvermittelt aus, verschwindet, kommt wieder, irgendwann
später, wenn der Erwachsene schon gedacht hat, die Trauerzeit sei um.
Erwachsene vergleichen ihre Trauer mit dem Waten durch einen Fluss, dessen
rettendes Ufer nicht zu sehen ist. Kinder dagegen stolpern in Trauerpfützen; es
spritzt, und schon sind sie wieder draußen. Das hat nichts mit mangelnder
emotionaler Reife zu tun, sondern drückt ihre ganz spezifische Art von Trauer
aus. »Ich bin doch noch so klein«, sagt das Kind, »und ich hab manchmal Angst,
die Trauer geht nie wieder fort. Aber wenn ich spiele, habe ich keine Angst
mehr!« Dieser Wechsel zwischen dem mächtigen Trauergefühl und dem Verarbeiten
des Erlebten im Spiel sorgt für die körperliche und seelische Stabilität des
Kindes.
Janas Hamster Max ist gestorben. Sie trauert auf ihre Weise. Im Laufe des
Vormittags nimmt sie den Daumen in den Mund, zieht sich in die Kuschelecke
zurück, will allein sein. Dieses Trauerritual hält einige Wochen an. Jana will
und kann nicht reden. Was ist gut für das Kind? Die Erzieherin nimmt seine
Stimmungsveränderung auf, teilt sie, nickt mit dem Kopf, wenn Jana sich
zurückzieht. Sie weiß ja, was los ist. Später beim Malen erzählt das Mädchen:
»Ich denk halt immer, der Max ist im Käfig, wenn ich heimkomme.« Einige Wochen
später malt sie einen leeren Hamsterkäfig. Ihr Wunschdenken hat sich mit der
Zeit an der Realität wundgerieben; ihr Bewusstsein begreift, dass der Tod
endgültig ist.
Hilfreich war die behutsame Begleitung des Erwachsenen, der den Rückzug des
Kindes ausgehalten und seine Verlorenheit gespürt hat. In solchen Momenten
befindet sich das Kind in eisiger Umgebung. Wie Lars, der kleine Eisbär, treibt
es auf seiner Eisscholle durchs Eismeer. In Zeiten der Trauer ist es gut, wenn
Kinder in ihrer gewohnten Umgebung Bilder sehen, die ihre Situation wiedergeben.
Sie erzählen von der Einsamkeit des kleinen Eisbären und drücken damit ihr
inneres Geschehen aus. Die Erzieherin geht diesen Weg mit; und zwei Kinder aus
der Gruppe warten jeden Tag in der Puppenecke, um mit Jana Tierarzt und das
Einschläfern zu spielen. »Wer darf heute Tierarzt sein?« »Ich nicht, weil der
doch die alten Tiere totspritzt!« Schon werden andere Kinder neugierig, schauen
zu, mischen mit: »Unsere Katze hat schlimmes Rheuma. Aber ich will nicht, dass
die tot geht!«
Darf der Tierarzt das? Schon wieder diese Frage! Der Erwachsene hat sie schon
mehrmals beantwortet und wirkt genervt. Mit diesen sich wiederholenden Fragen
macht sich das Kind immer wieder auf die Suche nach Antwort. Die Suche ist ein
wichtiger Bestandteil der kindlichen Trauerverarbeitung. Es braucht einfach
Zeit, bis die Antworten vertraut werden.
Zeit für Trauer
Trauer ist die angemessene Antwort auf Verlust-Erfahrungen.
Ihr Ziel hat sie erreicht, wenn sie sich in kraftvolle Zuwendung zum Leben
verwandelt. Da jedes Kind ein anderes Timing hat - es dann doch wieder in der
Trauerpfütze landet, obwohl es nicht wollte, trauert, als ob der Verlust gestern
gewesen wäre -, braucht der Erwachsene einen langen Atem. »Sag nur, du weinst
noch wegen dem Max. Der ist doch schon so lange tot. Jetzt hör aber auf!« Das
Kind hört auf. Es bleibt ihm ja nichts anderes übrig, denn wenn die Offenheit
des Erwachsenen fehlt, hört es kein Echo, schweigt. Dafür jagen wilde
Angstfantasien durch seine Gedanken. »Wenn ich die sage, denken alle, ich hab
sie nicht mehr alle«, sorgt sich das Kind.
Wie gut, wenn wenigstens die Erzieherin im Kindergarten nachfragt, wie es dem
Kind geht, jetzt, wo es kein Haustier mehr hat. Und ob es noch weh tut. Wenn
Kinder in der Verarbeitung ihres Verlustes gesehen werden, entwickelt sich durch
den Trauerprozess in ihrem Inneren ein Ordnungsprinzip, das den Bereich des
Todes von dem des Lebens klar unterscheidet. Ich nenne diesen inneren Hüter an
der Schwelle zwischen Leben und Tod Schutzengel. Er wacht darüber, dass Kinder
immer nur kurze Zeit sich in dieser Zone aufhalten, sich dem Spiel wieder
zuwenden, um dadurch neue Kräfte zu gewinnen.
Der Tod braucht einen Ort
Es gibt sehr mutige Kindergärten und Kitas, die nehmen ihren
Bildungsauftrag ernst, ermöglichen Kindern Begegnungen mit einer riskanten und
widersprüchlichen Welt, veranstalten Elternabende zum Thema Kind und Tod, nehmen
das befürchtete Wecken der schlafenden Hunde in Kauf und orientieren sich an der
Neugier der Kinder, die sehen wollen, wo der Tod wohnt.
Wenn der Hase aus der Gruppe der Regenbogenkinder stirbt, spielt sich in ihrer
kleinen Welt das ab, was auch bei den Erwachsenen geschieht. Ein Teil des
Gartens dient als Friedhof, die Beerdigungszeremonie wird festgelegt, das Kreuz
beschriftet - wobei das Votum der Kinder für das Kreuz nicht einhellig ist, weil
ja dann die Katze sieht, was los ist und den toten Hasen vielleicht wieder
ausbuddelt. Die Kinder sorgen sich um die letzte Ruhe der Toten; es entspricht
ihrem natürlichen Empfinden: was tot ist, kriegt sein Bett unter der Erde. Und
wer sagt dem Maulwurf Bescheid? Der muss doch den toten Hasen besuchen. Es gibt
keinen Stillstand in der Vorstellungswelt des Kindes. Unentwegt wirkt seine
Fantasie und belebt damit selbst den Bereich der Toten.
Wer mit einer Kindergruppe und Eltern über den Friedhof geht, kann es laufen
lassen. Hier muss nichts künstlich inszeniert werden. Kinder achten die
Besonderheiten des Ortes, funktionieren ihn aber nach ihren Bedürfnissen um,
hüpfen über die gekiesten Wege, horchen auf das Geräusch ihrer Schritte,
balancieren auf Grabumrandungen oder verstecken sich hinter Grabsteinen. Da
freuen sich die Toten! Wie von selbst formt sich die Sprache, und endlich haben
sie eine Möglichkeit, sich ein Bild vom Friedhof zu machen, das der Realität und
nicht den Gruselfilmen entspricht. Es rollen keine Totenköpfe über den Weg und
niemand wird ins Grab gezogen!
Mit Kindern auf dem Friedhof. Wo sind die Kindergräber? Auch dies gehört zum
Thema Kind und Tod. Erzähl doch, wieso das Mädchen gestorben ist. Und der Bub,
war der schon in der Schule, als er starb? Ein Kind möchte, dass sich alle an
den Händen fassen und die Erzieherin soll ein Gebet sprechen. So war es bei der
Beerdigung seines Onkels.
Kinder fordern, was sie brauchen, und an der Wiederholung des Gleichen oder
Ähnlichen lernen sie. Deshalb sind Rituale im Umgang mit dem Tod auch so
wichtig. Nur so kann in ihrem Innern ein Film als Abfolge der Wirklichkeit
entstehen. Bild fügt sich an Bild. »Ich muss doch sehen, ob der Sarg auch unten
ankommt!«, sagt das Kind. Wenn es sich kein Bild machen kann oder die Bilder
unvollständig sind, gibt es Leerstellen, in die Angstfantasien einschießen und
ihr Unwesen treiben. Das ist schlimmer als die Realität.
Was bleibt am Ende? Mit der Erfahrung des Todes im Rucksack des Lebens
schauen Kinder und Erwachsene die Welt mit anderen Augen an. Sie wissen um das
Leid und die Endlichkeit, kennen aber auch die Freude, die tiefer geht als das
Leid.