Vortrag im „Haus der Familie", Reutlingen 2004
Vielleicht ist es Ihnen gar nicht so leicht gefallen, zu
diesem Abend zu kommen. Schließlich geht es um Erfahrungen von Müttern, die sich
nicht auf der Sonnenseite des Lebens abspielen. Es ist gar nicht so leicht,
diese Erfahrungen in Worte zu fassen. Mit meinem Kind stimmt etwas
nicht ... Pünktchen Pünktchen. Was verbirgt sich in den Pünktchen? Was
stimmt da nicht? Wenn etwas nicht stimmt, dann passt etwas nicht zueinander.
Stimmen hat aber auch mit Richtig-Sein zu tun. Ist an meinem Kind etwas nicht
richtig, also falsch? Das macht mich unsicher. Das Gefühl der Unstimmigkeit
macht mich unruhig und weckt gleichzeitig den Wunsch, sich abstimmen zu können,
damit es passend wird. Übereinstimmung, das wäre gut! Am besten wäre es, ich
könnte mein Kind umstimmen, dann sind wir auf derselben Wellenlänge und
gleichgestimmt.
Mit diesen Fragen bin ich schon mitten im Thema. Jede Mutter,
die ein Kind hat, mit dem etwas nicht stimmt, lernt diese Gefühle der
Unsicherheit und Unruhe kennen, weil ihr Kind auffällt, aus dem Rahmen des
Üblichen fällt, schwierig ist. Ich will das an einigen Beispielen erläutern.
Der Erzieherin im Kindergarten fällt die permanente
Unruhe eines Kindes auf. Es ist unfähig, sich auf ein Spiel einzulassen,
rast mechanisch, wie aufgezogen, durch den Raum. Sie bittet die Mutter zu
einem Gespräch. Diese hat große Angst vor dieser Unterredung.
Eine Verwandte ruft nach einem Besuch bei der Mutter und
ihrem neugeborenen Kind an und meint, der Säugling wirke in seinen
Bewegungen eigenartig ruckhaft. Sie will wissen, ob der Kinderarzt bei der
Untersuchung nichts gemerkt habe. Auf einmal verändert sich der Blick der
Mutter.
Die Lehrerin bittet um ein Gespräch. Das Kind genüge
trotz der Wiederholung der Klasse den Anforderungen nicht. In dieser Nacht
kann die Mutter nicht schlafen.
Ein älterer Nachbar beschwert sich, weil das Kind schon
wieder frech und unverschämt war und alle Beteuerungen, es würde den alten
Mann nicht mehr hänseln, doch nicht gefruchtet haben. Die Mutter schließt
beschämt die Wohnungstür zu.
Auf dem Heimweg von der Schule gerät ein Jugendlicher in
eine gewalttätige Auseinandersetzung mit Mitschülern. Passanten rufen die
Polizei. Ein Beamter bringt den Jungen nach Hause. Das geschieht nicht zum
ersten Mal. Er sagt: „Mit dem Jungen stimmt etwas nicht. So geht das nicht
weiter!"
1. Sprachprobleme
Wenn irgendwann feststeht, dass mein Kind sich auf seine ganz
eigene Weise entwickelt, habe ich Mühe, dafür die richtigen Worte zu finden. Als
ich mit meiner Lektorin nach einem Titel für mein Buch suchte, wurde deutlich,
wie schwer das ist, eine adäquate Sprache zu finden. Es ist sehr schwer, die
Kinder, bei denen etwas nicht stimmt, näher zu kennzeichnen und sie dabei nicht
als Mangelwesen abzuwerten. Es ist schwer, diese Kinder zu kennzeichnen, ohne
dass die Mütter nicht schmerzvoll zusammenzucken. Sie stecken in einem Dilemma:
Auf der einen Seite verkörpert ihr Kind etwas Einzigartiges. Es ist ein Mensch,
der in seiner Besonderheit anerkannt sein will, und nun wird ihm ein Etikett
angeklebt: ADS, LRS, Tourette-Syndrom, verhaltensgestört, entwicklungsverzögert,
lernbehindert, geistig behindert, körperlich behindert, schwierig, auffällig,
sprachgestört ...
Alle diese Kennzeichnungen weichen vom Üblichen ab, sind
irgendwie nicht normal - und schon ziehe ich als Mutter den Kürzeren, weil nur
auf Mangel verwiesen wird. Dagegen wehrt sich in mir alles, denn ich schaue mein
Kind mit liebevolleren Blicken an als Außenstehende. Immer wieder merke ich, wie
aufgewühlt ich werde, sobald es um dieses Kind geht.
Auf der einen Seite bin ich Mutter, will einfach eine ganz
alltägliche Mutter sein. Auf der anderen Seite fällt dieses Kind mit seiner
Beeinträchtigung aus dem alltäglichen Rahmen. Und schon komme ich ins Rotieren,
suche meinen Standort. Was für jede Mutter eines sog. Normalkindes
selbstverständlich ist, gilt nicht für mich. Ich wehre mich dagegen, eine
unnormale Mutter zu sein. Was bin ich denn? Und warum spüre ich die Antwort
nicht tief in mir? Ich spüre, dass dieses Kind mich verändert. Es ist anders als
andere, und überall, wo ich hinkomme, stelle ich automatisch Vergleiche an und
komme zum Ergebnis, ich unterscheide mich von Freunden und Bekannten mit
Kindern, will mich am liebsten zurückziehen, fühle mich fremd, allein und
verlassen. Auf einmal werde auch ich anders.
Auf der Suche nach einem stimmigen Titel hätte ich am
liebsten den eines amerikanischen Buches übernommen. „Special kids need
special parents" - besondere Kinder brauchen besondere Eltern. Das
Eigenschaftswort besonders ruft andere Assoziationen hervor, da schwingt
eine andere Energie mit. Wie geht es Ihnen damit, ihr auffälliges Kind nicht
mehr als schwierig zu bezeichnen, sondern als besonders?
Wieder geht es um die angemessene Sprache. Als mein Buch
erschienen war, bekam ich übers Internet Post von betroffenen Müttern, auch von
einem Vater. Dabei wurde deutlich, dass alle Mütter ihr Kind als schwierig
bezeichnen und damit in erster Linie auf ihre Schwierigkeiten im Umgang mit
diesem Kind verweisen. Keine hat diese Eigenschaft als eine Wertminderung oder
Herabsetzung ihres Kindes angesehen, sondern als Eingeständnis des nüchternen
Tatbestandes. Übereinstimmend sagen diese Mütter, ihr schwieriges Kind habe
nicht nur ihr bisheriges Leben umgekrempelt durch die vielen Veränderungen, die
es mit sich gebracht hat, sondern auch ihr bisheriges Denken umgemodelt. Eine
junge Mutter sagt recht drastisch: „Bevor meine Tochter, ein
entwicklungsverzögertes Kind, auf der Welt war, funktionierte mein Denken nach
einem schwarz-weißen Muster von richtig und falsch, normal und anormal, gesund
und krank. Anfangs hatte ich nur einen Wunsch: ein Kind, das nicht aus dem
Rahmen fällt. Aber ich habe diesen Wunsch zu Grabe getragen und bin über meinen
Schatten gesprungen. Damit wurden auch die grässlichen Gefühle, keine gute
Mutter zu sein, weniger."
Mich schmerzt es jedes Mal, wenn ich im Gespräch mit einer betroffenen Mutter
höre, wie sie an ihrem Wert als Mutter zweifelt. Warum kommen diese
Selbstzweifel?
2. Diesem Kind genüge ich nicht als Mutter
Die Mutter eines ehemals schwierigen Jungen drückt ihre
vergangene Situation so aus:
„Ich hatte von Anfang an den Eindruck, der Umgang mit diesem
Kind ist wie ein Fass ohne Boden. Ständig muss ich unterstützen, Mut machen,
trösten, auf die Sprünge helfen, Fehler ausbügeln, verzeihen, immer mit offenen
Armen dastehen und bereit sein, alle Wutausbrüche und Lügen über mich ergehen zu
lassen. Ein Fass ohne Boden war dieses Kind für mich. Nichts hatte Halt, nichts
hatte Bestand, alles zerfloss. Eine ungeheure Leere war in mir, denn das Fass
ohne Boden war ja auch ich. Als Container des Kindes hatte ich sein Unvermögen,
seine Schwächen und seine Unruhe unter der Haut. Ich leide noch heute darunter,
dass ich diesen Jungen mit seinen Einbußen im Bereich der Wahrnehmung und
Reizverarbeitung nie so in mir bergen konnte, wie ich das wollte und bei meinem
anderen Kind auch konnte. Weil er meine erstes Kind war, bin ich durch die
Mühlen der Sprechzimmer und Untersuchungen gelaufen."
Muterliebe und Mutterleid gehen eine enge Verbindung ein.
Viele Mütter, deren Problemkind inzwischen erwachsen ist und selbstständig
durchs Leben geht, sagen: „Wenn ich das doch alles früher gewusst hätte! Warum
hat die Natur nicht eine Gebrauchsanweisung für mein Problemkind
mitgegeben? Ich hätte die vielen Fehler nicht machen müssen und mich als Mutter
nicht als die große Versagerin erlebt, ich hätte mich im Umgang mit Ärzten und
Therapeuten nicht so klein gefühlt." Eine andere Mutter, die darunter leidet,
dass ihr Kind anders sich entwickelt als seine Geschwister, sagt : „Warum hat
Gott nicht eine bessere Mutter für dieses besondere Kind herausgesucht?"
Mütter mit schwierigen Kindern sind gezwungen, ihre Grenzen
immer wieder zu erweitern. Das Kind wird zur Herausforderung, aber bevor es als
solche akzeptiert werden kann, kämpfen viele auf dem Schlachtfeld ihrer
Selbstzweifel. Sie werten sich ab als Frau, weil sie nicht in der Lage waren,
ein richtiges Kind geboren zu haben. Sie leiden darunter, dass die Beziehung zu
ihrem hochsensiblen hypermotorischen Kind so extrem störanfällig ist und suchen
nach Ursachen in ihrer Person, weil ja dadurch die Illusion entsteht,
wenn du nur hart genug an dir und deiner Persönlichkeit arbeitest, wird es
eines Tages bei deinem Kind flutschen, dann platzt endlich der Knoten.
Die Gefühlslandschaft einer Mutter mit einem schwierigen Kind
zeigt viele Zerklüftungen, Höhen und Tiefen und wenig Ebenmaß. Meist läuft ein
Wust von Gefühlen gleichzeitig ab. Freude ist oft getränkt mit der Angst, sie
sei doch nicht von Dauer. Ruhe und innerer Friede gehören zu den seltenen
Erfahrungen. Das gute Grundgefühl dieser Mütter scheint erschüttert. Nicht
wenige durchlaufen häufig Phasen depressiver Traurigkeit; die Kraft reicht kaum
noch für die Arbeit im Alltag, und die Angst vor der Zukunft wächst. Im
folgenden Teil möchte ich den ambivalenten Gefühlen auf die Spur kommen. Denn es
gehört zu einer wichtigen Lernerfahrung für Mütter schwieriger Kinder, diese als
etwas ganz Natürliches anzunehmen.
3. Gefühle von Schuld, Ohnmacht, Wut und Verzweiflung
Wer kennt es nicht, das schlechte mütterliche Gewissen? Es
meldet sich in Situationen, wo etwas mit dem Kind schief gelaufen ist.
Peinigende Gewissensbisse stellen sich ein, wie eine Schallplatte, auf der alle
negativen Stimmen im Chor sagen: Du bist keine gute Mutter, du tust nicht genug
für dein Kind. Streng dich an, streng dich noch mehr an!
Schuldgefühle machen klein. Die Mutter traut sich dann nicht
mehr Nein zu sagen, traut sich nicht, ihre Grenzen zu zeigen, übernimmt sich,
gönnt sich keine Freude mehr. Vielleicht sagen dann die Nachbarn oder Lehrer,
diese Mutter trage schwer am Schicksal ihres Kindes und loben ihre
Opferbereitschaft. Das ist ein gefährlicher Weg, aber vielen Mütter bleibt er
nicht erspart, weil sie damit das demütigende Gefühl der Ohnmacht im Schach
halten.
Ein Kind geht seinen ganz eigenen Weg. Seine Entwicklung ist
nicht so voraussehbar wie bei anderen Kindern. Es macht Angst, diese
Unsicherheit auszuhalten, und es kostet viel Kraft, in die Zukunft des Kindes
Vertrauen zu haben. Ist es da verwunderlich, dass die Ungewissheit und Ohnmacht
umgesetzt wird in einen Aktionismus, der Mutter und Kind von Therapie zu
Therapie hetzt? Vielleicht geschieht ja eines Tages das Wunder, dass dieses Kind
fast wie die anderen wird. In einer versteckten Kammer ihres Herzens sagt eine
Stimme: „Wenn du nur genug tust, wird alles gut werden." Mütter sind es
gewohnt, immer wieder weit über das Limit ihrer Belastbarkeit zu gehen. Dann
sind sie wie die Müllerstochter im Märchen vom Rumpelstilzchen. Die muss eine
unlösbare Aufgabe vollbringen: sie soll aus Stroh Gold spinnen. Unmöglich ist
das! Aber genau das ist es, was viele Mütter auffälliger Kinder meinen tun zu
müssen: das Unmögliche möglich machen. Das auffällige Kind ummodeln, damit es
doch noch in den Rahmen des Üblichen passt.
Das geht schief. Im Märchen zahlt die Frau einen hohen Preis,
denn der dämonische Helfer Rumpelstilzchen verlangt das Kind. Übertragen auf die
konkrete Situation heißt das, die Beziehung zwischen der Mutter und ihrem
schwierigen Kind gerät in eine Zerreißprobe. Vor lauter Überanstrengung hat die
Mutter aufgehört, sich zu spüren, in innerem Kontakt mit dem Kind zu sein. Sie
ist in der Gefahr, ihr Kind zu verlieren. Verbissen übt sie mit ihm Tag für Tag
und hat dabei ihre mütterlichen Qualitäten verloren. Hoffentlich sagt dann ein
Außenstehender: Stopp, du bist die Mutter! Du hast die falsche Brille auf der
Nase. Du bist nicht die Heilpädagogin!
Hoffentlich fallen der Mutter dann die Schuppen von den
Augen, damit sie ernüchtert und liebevoll auf ihr Kind schauen kann. Die
Enttäuschung tut weh, aber es ist wichtig, sie offen einzugestehen. Ja, mein
Kind ist anders, und es geht einen ganz eigenen Weg durchs Leben mit seinen
Handikaps. Es ist Hybris, wenn ich mir vorgaukle, ich könne der Natur ins
Handwerk pfuschen. Wer auf dem Boden der Tatsachen angekommen ist, akzeptiert
nicht nur das besondere Kind, sondern auch die widersprüchlichen Gefühle, die zu
dieser besonderen Beziehung gehören.
Mit Muttertagstimmung haben diese Befindlichkeiten nichts zu
tun. Aber es ist wichtig, sich nicht zu verurteilen, wenn die Wut gerade im
Umgang mit diesem Kind hoch kocht. Die Wut entsteht als natürliche Reaktion auf
die immer wieder eingeschränkte Interaktion zwischen Mutter und Kind und dem
Verhalten der Umwelt. Eine Mutter sagt: „Ich hab mich eigentlich ausgesöhnt mit
den Beeinträchtigungen meines Kindes. Trotzdem packt mich von Zeit zu Zeit eine
große Wut, weil es ist, wie es ist. In der Öffentlichkeit spüre ich, es gibt
solche und solche, und dann sehe ich mein Kind auf der Seite der Menschen, die
sich so sehr mühen und anstrengen müssen, um ihre Handikaps auszugleichen. Wer
erkennt diese Leistungen an?"
Im Gegensatz zu den nicht auffälligen Kindern müssen unsre
Kinder immense Leistungen vollbringen, um sich sozial innerhalb einer Gruppe
behaupten zu können. Aber niemand sieht das. Auf der einen Seite stehen sie
unter der ständigen Anspannung, ihren Mangel zu verbergen und strengen sich über
die Maßen an. Auf der anderen Seite spüren sie ihre Leistungsgrenzen, ihr
Nichtkönnen, das sich nicht verändern lässt. Tag für Tag sind sie mit Kindern
zusammen, denen mühelos gelingt, was ihnen schwer fällt oder nicht gelingt.
Solange sie in der Öffentlichkeit der Schule sind, reißen sie sich zusammen,
passen sich an. Aber kaum sind sie zu Hause, fällt die Maske der
Selbstbeherrschung in sich zusammen, drängen plötzlich Affekte der Wut nach
außen. Zielscheibe dieser Wut ist meist die Mutter. Auf ihre Person entlädt
sich, was draußen nicht sein darf. Diese Wut ist das Produkt all der vielen
Enttäuschungen und Verletzungen, die das gehandicapte Kind Tag für Tag im
Zusammenleben mit anderen erfährt. Es ist gut, wenn sich diese Wut äußert, das
Kind sie nicht gegen sich richtet in Attacken der Selbstzerstörung. Diese Wut
hat nichts mit der Mutter zu tun. Aber sie ist für das Kind die Person, welche
diese Wut mit aushält. Die Mutter ist die für das Kind sicherste Person. Ihre
Gegenwart ermöglicht es dem Kind, sich diesen unangenehmen Gefühlen zu stellen.
4. Wo bin ich?
Mütter mit besonderen Kindern sind immer in Gefahr, sich zu
vergessen. Deshalb meinte einmal eine kluge Frau zu mir: „Fang endlich an,
hinter deinem Kind hervorzukommen!" Ich hatte ihr erzählt, wie schwer es mir
fällt, die Ratschläge meiner Mitmenschen zu hören, die mein Kind betrafen. Diese
Aufforderung, mehr zu mir zu stehen als Mutter, hatte große Wirkung. Auf einmal
wurde deutlich: immer stand ich in der zweiten Reihe, zuerst kam das Kind, ihm
hatte ich mich untergeordnet. Aber ich darf vorne stehen. Dieser Satz bewegte
meine Fantasie. Einmal stellte ich mich mit meinem Kind vor den Spiegel; wir
probierten verschiedne Positionen aus. Nach einer Weile standen wir
nebeneinander und sagten lachend: „Das bin ich und das bist du!"
Manche Mütter wittern von vornherein die Gefahr, die beste
aller Mütter sein zu wollen, die beste aller Heilpädagoginnen werden zu müssen.
Sie weigern sich, mit ihrem Kind üben zu müssen, suchen sich eine neutrale
Person, die das wesentlich leichter kann und suchen für sich und das Kind
Nischen im Alltag. Immer dann, wenn ich mir und meinem Kind etwas Gutes habe tun
wollen, sind wir raus in die Natur gegangen. Dort hatte ich immer den Eindruck,
dass mein Kind stimmt. Ich fühlte mich auch stimmig und entspannt. Nur wir
beide, niemand, der eine Messlatte anlegt und Mängel feststellt. Hier gibt es
eine große Wiese für uns beide. Mutter und Kind lassen die Seele baumeln.
Manche Mütter wagen es nicht, ihr schwieriges Kind in andere
Hände zu geben. Wer ein in seiner Wahrnehmung beeinträchtigtes Kind hat, kann
ein Lied davon singen, wie wichtig die immer gleichen Abläufe im Alltag sind,
wie schnell diese Kinder nicht mehr stimmen und aus der Reihe tanzen, sobald
Besuch kommt oder minimale Veränderungen eintreten. Trotzdem gilt: sich selber
Raum zugestehen, vom Partner diesen Raum einfordern, diesen Freiraum dem
Kind zumuten!
Es ist wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, dass
Mütter viel Kraft verbrauchen, um die vielen Differenzen im Umgang mit ihrem
Kind zu überbrücken. Das geschieht automatisch, bedeutet aber eine hohe
emotionale Beanspruchung. Mit den Emotionen nehme ich das Geschehen um mein Kind
in mich hinein und lerne, es und mich auf diese Weise zu verstehen und zu
bewerten. Gut ist es, mindestens einen Menschen in seinem Umfeld zu haben, denen
man diese Muttergefühle der besonderen Art mitteilen kann. Große Worte braucht
es nicht, zuhören und nicken können reichen. Das ist die Bestätigung, die sagt:
Es ist wie es ist! Das tut gut.
Wer mit einigen Frauen in ähnlicher Situation sich in
regelmäßigen Abständen trifft, um über das zu sprechen, was ansteht, tut sich
und den anderen etwas Gutes. Es hat etwas sehr Befreiendes, sich die Probleme
mit dem besonderen Kind von der Leber zu reden, und es hat einen sehr
stabilisierenden Effekt, zu sehen, ich bin nicht die einzige Muter auf der Welt,
die ein auffälliges Kind hat. Raus aus der Isolation, die Dinge beim Namen
nennen. Die Mauer der Scham und des Schweigens immer wieder durchbrechen. Das
gibt Kraft und Zuversicht. Dann setzt sich die Gewissheit durch: es ist zu
schaffen, ich kann es. Ich bin Mutter eines besonderen Kindes, und es ist gut,
wie es ist!