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Gertrud Ennulat: Mit 16 farbigen, überwiegend doppelseitigen Bildern der Autorin. Zürich/Düsseldorf: Walter Verlag, 1996. 144 Seiten Es gehört mit zum Wesen des Märchens, dass es wie
kein zweites über Völker und Zeiten hinweg eine unverkennbare und
ganzheitliche Form der Volkspoesie darstellt, die aber wiederum so angefüllt -
man möchte sagen: aufgeladen - ist mit allem, was menschliches und kreatürliches
Wesen auf Erden ausmacht, dass man sie gerne mit einem Kaleidoskop vergleicht,
das, wenn es geschüttelt wird, dem Betrachtenden immer neue phantastische
Bilder zeigt. Zum Schluss bestimmt dieser, was er in seinem Märchenkaleidoskop
am liebsten und immer wieder sehen will - und bleibt doch stets angeschlossen an
den welthaltigen, interdependenten Kern der Märchen. In dem Sinne hat Gertrud
Ennulat ihre Sichtweise der Märchen schon zur Prägezeit ihrer Kindheit über
den Wald im Märchen erfahren. So ist ihr Buch, dessen Titel - genauso wie ihr
vorausgegangener Beitrag in MÄRCHENSPIEGEL J/1995 - auch Der
Wald im Märchen lauten könnte, eben keine gelehrige enzyklopädische
Abhandlung einer Philologin über Häufigkeit und Funktionen des Topos Wald,
sondern mehr eine innere Schau, aber eine, die Fakten kennt und benennt: Gertrud Ennulat hat einen besonderen Weg gewählt,
die Ehrfurcht vor dem Lebensraum Wald wieder zu wecken, denn nach diesem
nachdenklich stimmenden Einblick in die wechselvolle Geschichte der Beziehung
zwischen Mensch und Wald interpretiert sie drei Märchen, in denen der
Schicksalsweg der Heldinnen in den Wald führt und die Begegnung mit der
Naturmutter die Not und den Mangel wandelt. Immer ermöglicht die Sinn gebende
Erfahrung des mütterlich bergenden Lebensprinzips Wald den Neubeginn. Märchengeschehen
spiegelt seelisches Geschehen, und die Interpretationen der Autorin schaffen Bezüge
zum Leben und zum Alltag: zur inneren Reifung und Selbstfindung durch
Selbstlosigkeit (Die Sterntaler), zur
Mutter-Tochter-Beziehung (Der süße Brei)
und zur Eltern-Kind-Beziehung (Waldminchen).
Zur Darstellung des Bedeutungswandels des Waldes am Anfang des Buches und zu
den darauf folgenden Märcheninterpretationen fügt sich ein drittes Element,
das man in diesem schön gemachten Band nicht missen möchte: die von der
Autorin gemalten eingängigen Bilder, in denen uns die geheimnisvolle Seite des
Waldes, des Märchenwaldes, entgegentritt und tief anrührt. Gertrud Ennulat, Jahrgang 1941, studierte an Pädagogischen
Hochschule Karlsruhe und bildete sich weiter in Erwachsenenpädagogik.
Hauptberuflich arbeitete sie als Grund- und Hauptschullehrerin in Freiburg, in
der Freizeit als Malerin. Sie ist Leiterin von Märchenworkshops, Mitglied der
Europäischen Märchengesellschaft, und ihre Märchenbilder wurden in mehreren
Ausstellungen, so beim Kongress Witz, Humor und Komik in Märchen in Freiburg 1990, gezeigt.
Wolfgang
Kuhlmann, in: "Regio-Magazin" 1996 und:
"Märchenspiegel"
1996 |
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